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Renten-Abbau mit Signalwirkung

Gegenwärtig findet in der zweiten Säule eine starke Umverteilung von Jung zu Alt statt, die so nicht vorgesehen war. Gemäss dem Pensionskassen-Experten Olivier Deprez kostet ein 65-jähriger Mann, der dieses Jahr mit einem Umwandlungssatz von 6,8% pensioniert wird und die maximale BVG-Rente erhält, die Beitragszahler seiner Kasse 125 000 Fr. Er hat nämlich nur 320 000 Fr. einbezahlt, erhält im Verlauf seines restlichen Lebens aber voraussichtlich 445 000 Fr. in Form von Renten zurück.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Liquidität der Kassen langfristig zu sichern, will der Bundesrat in seinem Reformpaket Altersvorsorge 2020 den Umwandlungssatz auf 6% senken. Genauso wie der Mindestzins an realwirtschaftliche Gegebenheiten gekoppelt werden muss, muss der Umwandlungssatz an die Lebenserwartung gekoppelt werden.

 

NZZ am Sonntag; 07.02.2016 Ausgaben-Nr. 6 Seite 35 Wirtschaft (wi); Markus Städeli (stä)

Namhafte Pensionskassen senken ihre Umwandlungssätze stark. Und damit auch die künftige Rentenhöhe. Negativzinsen und längeres Leben: Die Zürcher Aufsicht über die berufliche Vorsorge will, dass Pensionskassen-Verantwortliche über die «Nullzins-Kasse» nachdenken.

Die Credit Suisse macht Tabula rasa. Nicht nur im Bankgeschäft, in dem sie Altlasten in Milliardenhöhe entsorgt. Auch bei der Pensionskasse kommt es zu einschneidenden Änderungen. Es ist fertig mit Pensionsalter 63. Neu gilt ein Referenzalter von 65 Jahren für den Ruhestand. Und der Umwandlungssatz sinkt schrittweise von 6,054% auf 4,865%. Das heisst konkret: Für 100 000 Fr. Kapital, das CS-Mitarbeiter in der zweiten Säule angespart haben, gibt es künftig nur noch 4865 Fr. Rente pro Jahr und nicht mehr 6054 Fr.

Wenn man überhaupt noch von einer Rente sprechen kann. Die CS-Pensionskasse will den Mitarbeitern in Zukunft nämlich einen Grossteil des angesparten Geldes in der zweiten Säule auszahlen und nur noch tiefe monatliche Beträge bis ans Lebensende ausrichten. So verschwinden die aus buchhalterischer Sicht unangenehmen Renten-Verpflichtungen aus der Bilanz.

In der Branche sorgen die Pläne der Bank für Aufsehen: «Wir sind erstaunt, wie massiv die Credit Suisse das Renten-Risiko auf die Angestellten abwälzt», sagt Peter Zanella, Leiter Pensionskassen-Beratung bei Towers Watson. «Die Sparbeiträge auf dem versicherten Lohn über 98 700 Fr. müssen neu eintretende Versicherte nun zwingend als Kapital beziehen.» Dies bedeute, dass die maximalen Rentenleistungen sehr nahe am gesetzlichen Minimum ausfallen dürften, was Höherverdienende sehr benachteilige. «Die Frage ist nun, ob andere börsenkotierte Firmen dem radikalen Beispiel der CS folgen und ebenfalls einen solch umfangreichen Risikoabbau betreiben», sagt Zanella.

Die Überlegungen hinter der starken Kürzung des Umwandlungssatzes sind für Experten hingegen keine Überraschung. «Die Pensionskasse geht davon aus, dass sie in den kommenden Jahren nur noch eine Anlageperformance von etwa 2,5% erzielen kann, und zieht davon ein halbes Prozent Sicherheitsmarge ab. Von dieser Grösse leitet sich dann ein Umwandlungssatz von 4,8% ab», so Zanella.

Zuvor haben bereits die Vorsorgeeinrichtung der Angestellten des Kantons Zürich (BVK), die Pensionskasse der Berner Kantonalbank und andere ihre Umwandlungssätze auf unter 5% gesenkt. Dies dürfte Signalwirkung haben für weitere Kassen.

Die Aussichten an den Kapitalmärkten sind düster. Für sehr sichere Anlagen von Bargeld bis zum 10-jährigen «Eidgenossen» müssen die Kassen Negativzinsen bezahlen. Nicht einmal an die Zinswende in den USA glauben die Finanzmärkte mehr so recht.

Zudem steigt die Lebenserwartung unaufhörlich, was viele Pensionskassen bisher nur ungenügend berücksichtigen, weil sie veraltete Sterblichkeitsdaten verwenden. Die Umwandlungssätze, die im Schnitt schon deutlich unter dem gesetzlichen Satz von 6,8% liegen, der für das Pensionskassenobligatorium gilt, könnten deshalb rasch weiter sinken. Das wäre ganz im Sinne der kantonalen Aufsichtsbehörde über Vorsorgeeinrichtungen von Zürich (BVS). Sie hat im Januar an einer Tagung für Pensionskassen-Stiftungsräte sogar das beunruhigende Szenario einer «Nullprozent-Kasse» vorgestellt. Also die Annahme, dass die am Markt erzielbare Rendite (abzüglich einer geforderten Sicherheitsmarge) künftig bei null liegt. Urs Schaffner, der Leiter der Swisscom-Pensionskasse, rechnete den Teilnehmern vor, dass unter dieser Prämisse der Umwandlungssatz sogar auf unter 4% sinken würde.

Malt man beim BVS den Teufel an die Wand? «Die Stiftungsräte sind zu einer risikoorientierten Führung der Vorsorgeeinrichtung verpflichtet», sagt BVS-Direktor Roger Tischhauser. Dies umfasst auch die Auseinandersetzung mit künftigen Szenarien. Im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld sei das Szenario einer «Nullzins-Kasse» nicht mehr so abwegig.

«Als Aufsichtsbehörde stellen wir fest, dass die Stiftungsräte ihrer Verantwortung nachkommen», sagt Tischhauser. Sie hätten die Umwandlungssätze der steigenden Lebenserwartung angepasst und auch Kapitalmarktentwicklungen berücksichtigt. «Weitere zum Teil stärkere Senkungen der Umwandlungssätze sind notwendig und werden realisiert.» Das sei wichtig, um die laufende Umverteilung der Lasten auf die aktiven Versicherten zu stoppen. Die zweite Säule basiere auf dem Kapitaldeckungsverfahren und lasse damit keine systematische Umlage zu (siehe auch Text unten).

Auch Pensionskassen-Berater Zanella befürwortet konservative Annahmen. Was allerdings nicht heissen muss, dass die schlechteren Bedingungen dann ein Leben lange gelten. «Die Pensionskassen sollten auch einen Mechanismus vorsehen, wie sie die mit diesem tiefen Umwandlungssatz Pensionierten behandeln, wenn sich die Ertragssituation in Zukunft wieder normalisiert», schlägt Zanella vor.

Umverteilung von Jung zu Alt

Markus Städeli (stä)

Wieso können Pensionskassen ihren Umwandlungssatz und die Verzinsung der Guthaben ihrer Versicherten scheinbar nach Belieben festlegen? Dies, obwohl der gesetzliche Umwandlungssatz 6,8% beträgt und die Mindestverzinsung für dieses Jahr 1,25%? Die Crux ist, dass diese Werte nur für das sogenannte BVG-Obligatorium gelten und nicht für das restliche Sparkapital. Weil die Arbeitgeber ihre Angestellten über das gesetzliche Minimum hinaus versichern, ist das Überobligatorium bei den meisten Leuten der grössere Spartopf. Die Pensionskassen können dann eine Mischrechnung vornehmen, so dass sie im Schnitt von BVG-Altersguthaben und Überobligatorium auf technisch angemessene Grössen kommen.

Der BVG-Umwandlungssatz dagegen ist politisch bestimmt und hat mit der Realität wenig zu tun. Er führt bei Kassen in Tieflohnbranchen (bei denen eine Mischrechnung nicht möglich ist) zu einer krassen Umverteilung von Jung zu Alt: Gemäss dem Pensionskassen-Experten Olivier Deprez kostet ein 65-jähriger Mann, der dieses Jahr mit einem Umwandlungssatz von 6,8% pensioniert wird und die maximale BVG-Rente erhält, die Beitragszahler seiner Kasse 125 000 Fr. Er hat nämlich nur 320 000 Fr. einbezahlt, erhält im Verlauf seines restlichen Lebens aber voraussichtlich 445 000 Fr. in Form von Renten zurück.

Eine solche Umverteilung war in der zweiten Säule bisher nicht vorgesehen. In seinem Reformpaket Altersvorsorge 2020 will der Bundesrat den Umwandlungssatz auf 6% senken, was aus heutiger Sicht immer noch viel zu hoch ist.

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