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Böse Überraschung in der neuen Pensionskasse

Aus dem Tages-Anzeiger vom 22.10.2012: Alle Versicherten müssen sich gleichermassen am Defizit einer Kasse beteiligen, wenn es zur Teilliquidation kommt. Das gelte auch für jene, die der Pensionskasse erst kurz zuvor beigetreten seien, sagt das Bundesgericht. Von Andrea Fischer Gerät eine Pensionskasse in Unterdeckung, kann sie die Versicherten zu Sanierungsbeiträgen verpflichten. Doch wer rechnet schon damit, dass er kurz nach dem Beitritt zu einer Kasse eine empfindliche Kürzung seines Sparguthabens in Kauf nehmen muss? Der nachfolgende Fall illustriert, was auf die Versicherten bei einer Teilliquidation ihrer Pensionskasse zukommen kann. Eine Arbeitnehmerin, nennen wir sie F. G., tritt im Juli 2009 eine neue Stelle an. Sie bringt damit auch ihr Pensionskassenguthaben von 100 529 Franken in die Kasse des neuen Arbeitgebers ein.Nur wenige Monate später muss F. G. die Kasse wieder wechseln, da der neue Arbeitgeber den Vertrag mit seiner bisherigen Vorsorgeeinrichtung kündigt und sein Personal zu einer andern transferiert. Das führt zur Teilliquidation der bisherigen Pensionskasse (siehe Box). Wie viel ist «anteilmässig»? Nun befindet sich die Kasse im Zeitpunkt der Teilliquidation in Unterdeckung. Sie ist also nicht in der Lage, auf einen Schlag alle Verpflichtungen zu erfüllen. Deshalb müssen sich die austretenden Versicherten am Defizit beteiligen. Das heisst, die Kasse darf ihnen anteilmässig einen Betrag vom Sparguthaben abziehen. So sieht es das Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) vor. Doch was bedeutet «anteilmässig» für Versicherte, die erst kurz zuvor der Kasse beigetreten sind? F. G. stellt sich auf den Standpunkt, für die Unterdeckung dürfe nur derjenige Anteil ihres Guthabens berücksichtigt werden, den sie in der kurzen Zeit ihrer Anstellung bei der Pensionskasse angehäuft habe. Doch bei der Abrechnung ihrer Austrittsleistung stellt sie fest, dass die Kasse ihr Sparkapital von rund 100 000 Franken um mehrere Tausend Franken kürzt. Sie erhält beim Austritt also weniger, als sie sechs Monate zuvor eingebracht hat. Das will F. G. nicht akzeptieren und wehrt sich vor Gericht. Die Kasse müsse ihr den zu viel abgezogenen Betrag zurückerstatten, fordert sie. Das Berner Verwaltungsgericht gibt ihr recht, doch vor Bundesgericht kommt F. G. mit ihrer Argumentation nicht durch. Im Gesetz stehe nirgends, dass für die Unterdeckung nur derjenige Teil des Kapitals berücksichtigt werden dürfe, der bei der fraglichen Vorsorgeeinrichtung angehäuft worden sei. Ergo dürfe die Kasse bei einer Teilliquidation vom gesamten Kapital der versicherten Personen einen anteilmässigen Abzug vornehmen, heisst es im Urteil vom 16. Mai dieses Jahres. Weist eine Kasse also eine Unterdeckung von 10 Prozent auf, darf sie allen Versicherten vom gesamten angesparten Guthaben 10 Prozent abziehen. Wie lange jemand in einer Firma beschäftigt war, spielt laut Bundesgericht keine Rolle. Denn würde auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit abgestellt, hätte dies zur Folge, dass «langjährige Mitarbeiter für einen Teil der Deckungslücke erst kurzzeitig Angestellter aufkommen müssten». Das widerspräche dem Gleichbehandlungsgebot. Die Krux der Gleichbehandlung Das Gleichbehandlungsgebot verlangt demnach, dass bei einer Teilliquidation alle austretenden Versicherten gleichermassen am Defizit partizipieren. Es bewahrt den Einzelnen aber nicht davor, mehrfach für Unterdeckungen zahlen zu müssen. So könne es für einzelne Versicherte zu einer Ungleichbehandlung kommen, räumt die Juristin Martina Stocker vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ein. Gerade wenn jemand bereits in einer Kasse Sanierungsbeiträge leisten musste, dann in eine andere Kasse wechselt und dort kurz darauf in eine Teilliquidation gerät und deswegen auch noch eine Kürzung seines Sparguthabens in Kauf nehmen muss. Umso wichtiger ist es, dass sich Arbeitnehmer vor dem Eintritt in eine Kasse über deren finanzielle Situation informieren (siehe Artikel rechts). Zum Fall von F. G. ist noch anzufügen: Hätte sie ihre Stelle gekündigt und die Kasse vor der Teilliquidation verlassen, dann wären die Bestimmungen über die Teilliquidation nicht anwendbar gewesen. In diesem Fall wäre F. G. von der Kürzung ihres Pensionskassenguthabens verschont geblieben. Sie hätte lediglich einen Beitrag zur Sanierung der Kasse leisten müssen. Kein Geld vom Sicherheitsfonds Bleibt die Frage, warum der Sicherheitsfonds BVG bei einer Teilliquidation nicht einspringt und für die Guthaben der Versicherten geradesteht. Gemäss Martina Stocker vom BSV kommt der Sicherheitsfonds erst bei einer Totalliquidation zum Zug, also wenn eine Pensionskasse nicht mehr zahlungsfähig und auch nicht mehr sanierungsfähig ist. Einen Antrag, dies zu ändern und den Sicherheitsfonds bereits bei Teilliquidationen zu verpflichten, hat das Parlament im Jahr 2010 abgelehnt. Für die Arbeitnehmenden bedeutet dies, dass sie bei einer Totalliquidation besser geschützt sind als bei einer Teilliquidation. Wird nämlich eine Pensionskasse wegen Zahlungsunfähigkeit totalliquidiert, sind die Sparguthaben bis zu einem versicherten Einkommen von 125 280 Franken (das Eineinhalbfache des maximalen BVG-Jahreslohns) durch den Sicherheitsfonds abgesichert. Bei einer Teilliquidation gehen jedoch die Verluste vollständig zulasten der Arbeitnehmenden. Bundesgerichtsurteil: 9C_545/2011 Es lohnt sich zu rechnen, bevor man als Arbeitnehmer einer Pensionskasse beitritt. Foto: Christopher Meder (iStockphoto) Teilliquidation Die Details regelt die Kasse selber Kündigt ein Betrieb seinen Anschlussvertrag mit einer Pensionskasse, wird ein Unternehmen restrukturiert oder vermindert sich die Belegschaft einer Firma erheblich (etwa bei Massenentlassung), dann ist für die Pensionskasse eine Teilliquidation durchzuführen. Nach einer Teilliquidation existiert die Kasse weiterhin, es erfolgt jedoch eine Abrechnung aufgrund der vorhandenen Mittel. Liegt eine Unterdeckung vor, so sind die Fehlbeträge entsprechend dem Unterdeckungsgrad anteilmässig auf alle Versicherten zu verteilen, die zum Zeitpunkt der Teilliquidation der Pensionskasse angehören. Die Details muss die Kasse in einem speziellen Teilliquidationsreglement festhalten. Dieses kann zum Beispiel vorsehen, dass kurz zuvor getätigte freiwillige Einkäufe von Versicherten bei einer Unterdeckung nicht von der Kürzung betroffen sind. (afi) Absicherung Der Arbeitgeber muss informieren Bei einem Stellenwechsel sollten sich Angestellte vorzeitig über die neue Pensionskasse erkundigen. Von Andrea Fischer Wer verhindern will, dass er beim Stellenwechsel einer Pensionskasse mit Unterdeckung beitritt, tut gut daran, sich rechtzeitig die Angaben über den Zustand seiner künftigen Vorsorgeeinrichtung zu beschaffen. Das ist bei öffentlich-rechtlichen Kassen kein Problem, da diese Informationen für jedermann zugänglich sind. Bei privaten Kassen ist die Offenlegung der Geschäftsberichte jedoch nicht Pflicht. Das Gesetz verpflichtet die Pensionskassen lediglich dazu, ihre Versicherten regelmässig über den Geschäftsgang ins Bild zu setzen. Wer aber noch gar nicht in der Kasse versichert sei, und dazu gehörten eben auch jene, die sich im Bewerbungsverfahren befänden, habe rechtlich keinen Anspruch, Auskünfte von der Kasse zu bekommen, sagt Beatrix Schönholzer vom Bundesamt für Sozialversicherungen. So müssen sich Stellenbewerberinnen an den künftigen Arbeitgeber halten. Dieser sei als angehender Vertragspartner verpflichtet, über alle wesentlichen Umstände aufzuklären, welche den Abschluss des Arbeitsvertrags infrage stellen könnten, sagt Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolph aus Wetzikon. Eine Unterdeckung der Pensionskasse, insbesondere wenn substanzielle Sanierungsbeiträge für die Angestellten drohten, gehöre zweifellos zu den wesentlichen Aspekten einer Anstellung. Alle Guthaben einbringen Eine sorgfältige Abklärung der Pensionskassensituation drängt sich nicht zuletzt deshalb auf, weil Arbeitnehmende nicht selber entscheiden können, wie viel sie von ihrem angesparten Vorsorgekapital in die neue Kasse einbringen. Es ist grundsätzlich die gesamte Freizügigkeitsleistung zu überweisen. Auch freiwillig einbezahlte Beiträge könnten nachträglich nicht mehr herausgenommen werden, sagt Schönholzer. Die Expertin rät indes Versicherten, sich vor dem Kassenwechsel nach dem Maximum der reglementarischen Leistungen zu erkundigen. Allfällige überschüssige Guthaben können Arbeitnehmende auf einer Freizügigkeitseinrichtung deponieren.

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